Rollstuhltanz

Was ist das überhaupt?

So geht's schon mal nicht!
 „Zum Tanzen braucht man keine Füße“. Frei nach diesem Motto treffe ich mich mit Tanzwütigen einmal wöchentlich zum Tanztraining. Auf dem Unterrichtsprogramm stehen Disco-Fox, Latein- und Standardtänze, gelegentlich auch der ein oder andere Gruppen-oder Modetanz. Und wer sich jetzt fragt, wie das gehen soll, dem sei folgendes gesagt: Es ist nicht, mal so ein bisschen im Rollstuhl hin und her wackeln, mit den Armen fuchteln oder überhaupt sich vom `Fußgänger‘ betanzen lassen. Es ist auch nicht, an die Schiebegriffe gepackt und den Rollstuhlfahrer einfach rumgewirbelt oder hin und her gedreht.

Wie aber dann? Und was gehört eigentlich alles dazu?

Jeder muss auf den Takt der Musik hören und alle Figuren mit sauberer Technik umsetzen können. Exakte Stopps, zentrische Drehungen, Vor- und Rückwärts - Gekurvte Bewegungen sind nur einige wichtige Grundelemente, die man wirklich unbedingt beherrschen sollte. Ansonsten wird man als Rollstuhlfahrer für den Fußgängerpartner unberechenbar. Denn schließlich muss dieser immer genau wissen, wo sich der Rolli z. B. nach einer Drehung befindet, damit ihm nicht über die Füße gefahren wird. Rollstuhltanzen erfordert vom Rollstuhl-Tänzer die exakte Beherrschung seines Gefährts, im Rahmen seiner Möglichkeiten.

Genau wie bei jeder anderen Sportart auch, sind hier das Körpergefühl und hohe Konzentration enorm wichtig. Also immer die Balance halten, konzentriert bleiben, auf die Musik hören und den Partner ständig im Blick haben. Außerdem den Körper stabil halten, denn die Muskulatur wird auf verschiedenen Bewegungsebenen genutzt. Die obere Rumpfmuskulatur, die schräge Bauchmuskulatur und auch die der Beine. Nicht zu vergessen die Bewegung in der Hüfte. Rollstuhltanz beansprucht wirklich den kompletten Körper und ist in seiner Gesamtheit sehr anspruchsvoll und durchaus anstrengend. Und hat tatsächlich nichts mit „bisschen Rollirumwirbeln“ zu tun. Jeder ist gleichberechtigter Partner.

Es versteht sich von selbst, dass Musikalität und ein generelles rhythmisches Gefühl die Grundlagen für jeden Tanz sind. Das Tanzpaar sollte sich als eine Einheit betrachten und das auch nach außen zeigen. Nicht, dass der eine dieses und der andere jenes macht. Ziel sollte schon sein, die Musik optimal in Bewegung umzusetzen, sodass der Zuschauer jederzeit eine getanzte Rumba von einem Cha-Cha-Cha unterscheiden kann. Oder wenn der langsame Walzer von beiden mit Hingabe getanzt wird, ist das schon was ganz Besonderes. Und dies sollte durchaus sichtbar, aber auch im Ausdruck zueinander spürbar sein.

Für den Rollifahrer liegt die gesamte Technik in allem was mit Arm- und Oberkörperbewegung zu tun hat. Klar, er hat ja auch nix anderes zur Verfügung. Während der Fußgänger mit seinen Beinen und Armen tanzt, spielt sich beim Rollipartner vieles an den Greifreifen ab. Es ist ein totaler Unterschied, ob man diese vorne oder hinten, mit viel oder wenig Schwung bedient. Raus kommt jedes Mal eine komplett andere Tanzfigur.

Als ich 2011 mit dem Rollstuhltanzen anfing …

So elegant geht es!
Nichts konnte ich mehr von dem verwerten, was ich früher als jugendliche Standardtänzerin gelernt hatte. Mit Rolli ist eben alles ganz anders. Und wie anders!
Ich musste meine Füße beim Tanzen außen vorlassen, es gab keinen direkten Körperkontakt mit meinem Fußgängerpartner, ich habe viele der Handstellungen am Greifreifen nicht verstanden und überhaupt konnte ich mich in dem Rolli gar nicht so schnell bewegen, wie ich es wollte. In diesem Moment vermisste ich das sorglose Dahingleiten in den Armen eines Tanzpartners, wie es früher war, so sehr. Meine Rollstuhlsituation hatte mich anfangs total überfordert. Und ich war sehr traurig. Das bin ich auch heute noch zum Teil, aber es haut mich nicht mehr so um.
Im Großen und Ganzen ist mir mittlerweile klar, dass ich meine Welt aus dem Rollstuhl heraus wahrnehme und dass dies auch künftig so sein wird. Aber Trauer über den Verlust der unbeschwerten Bewegung ist immer mal wieder da.

Dennoch, das Tanzen macht mir unglaublich Spaß! Ich liebe die Rhythmik, das sich Bewegen zur Musik und wenn ich eine Rumba zum Beispiel fehlerfrei hinbekomme oder ich mein ganzes Gefühl zu diesem Tanz zum Ausdruck bringen kann, freut mich das sehr. Tanzen ist toll!!!

August 2012