Auf die Bühne!

„Richtiges Theaterspielen mit Text lernen und so, das ist nichts für mich. War es noch nie. Aber Improvisationstheater machen, das kann ich bestimmt gut. Da muss man ja nur Alltagssituationen simulieren und nachstellen.“

Das waren seit jeher meine klugen Worte, was ein Leben auf der Bühne betrifft. Schon in der Schule habe ich mich nicht darum gerissen, aktives Mitglied in der Theater-AG zu werden. Zu kompliziert diese Auswendiglernerei. Da sah ich doch eher meine Zukunft beim Improvisationstheater, wenn überhaupt. Denn das bisschen Improvisieren konnte schließlich nicht so schwer sein, oder? Einschlägige TV-Formate machen einem das ja ständig erfolgreich und amüsant vor.

Völlig zufällig ist mir ein Flyer in die Hände gefallen: „Experimentelles Bewegungstheater und schöpferische Improvisation - Beginn September 2014“. Oh, interessant! Das könnte ja was für mich sein!

Was ist Improtheater überhaupt?
Es geht um den ganz persönlichen Ausdruck in Stimme, Sprache und Bewegung, um Spontanität und „Mut zur Lücke“. Auch spielen hier echte Gefühle eine große Rolle. Also nicht mal eben nur so tun als ob, sondern sich wirklich in die jeweilige Situation reinfallen lassen. Auch wenn sie einem noch so fremdartig, seltsam, absurd oder unbekannt erscheint. Die Kunst beim Improvisieren besteht unter anderem auch darin, ganzaufmerksam zu sein, sich in sich und gleichzeitig in die anderen mitspielenden Personen einzufühlen, zu hören was diese wie sagen und auch Sprechpausen zu akzeptieren. Aber vor allen Dingen die Ruhe zu bewahren, auch wenn das Gefühl da ist, in einer Szene nicht weiterzukommen. Manchmal ignorieren Mitspielern einen sogar, weil man im Spiel bei denen nicht andocken kann. Das ist echt doof dann. In der Regel geht es aber um ein wirkliches Miteinander, um Kommunikationsformen und um Achtsamkeit.

Herausforderung pur für mich
Ganz so easy wie ich mir das Ganze vorgestellt hatte, war es dann doch aber nicht. „Sei mal wütend auf deinen Freund, der dich soeben verlassen hat“ – so ein Szenario kenne ich. Das hätte ich bestimmt gut aus dem Ärmel schütteln und darstellen können. Aber weit gefehlt. Es geht nicht nur um ein bloßes Nachstellen von bereits bekannten Situationen. Shit!

Mein Weltbild bezüglich meiner Fähigkeiten und meiner Talente kam schon am ersten Workshop- Wochenende total ins Wanken. Kreative Ideen gleich null!! Dies wahrzunehmen war für mich kein angenehmes Gefühl, wo ich doch immer dachte, ich sei so cool und könnte alles mit links. Pustekuchen! Mann, fühlte ich mich schlecht und irgendwie matt. Wie spiele ich denn „meine Rolle“? Keinen Plan. Mein Kopfkino ging sofort los. Wir wollen ja immer alles richtig und gut machen. Zumindest ich.

Beim Improtheater sollte man seinen Alltag und dem ganzen Gerödel drum herum zu Hause lassen. Alle Regeln, Strategien oder kopflastige Gedanken, die im Normalfall unser Alltagsleben bestimmen, haben dann einfach mal Pause. Und dies macht es so „genial schön“, „echt lustig“ und „völlig entspannend“, wie mir langjährige Improspieler und -spielerinnen immer wieder erzählen. Und wenn ich besagte „Langjährige“ bei ihren Spielaktionen beobachte, dann sprühen sie förmlich vor hemmungsloser kindlicher Freude, Lebendigkeit, Witz und Ideen. Das will ich auch!

Die Zeit vergeht echt schnell. Ich bin ja jetzt schon seit längerer Zeit dabei. So manches Mal bin ich nach einer Montagabendeinheit ganz beschwingt nach Hause gefahren. „Was war ich doch gut! Lustig war’s!“ Aber so manches Mal fühlte ich mich ziemlich frustriert, weil ich eben nicht meine Hemmungen abbauen konnte, weil ich keinen Spaß beim Spielen hatte, ich weder mich noch die anderen besser kennenlernen konnte und mir auch nichts Sinnhaftes beim Improvisieren einfiel. Übung macht eben den Meister!

Improtheater packt einen genau da, wo es weh tut! Ich bin auch nicht immer aufmerksam anderen gegenüber, lasse sie nicht ausreden, falle ihnen ins Wort oder höre nicht richtig zu. Wie schnell geht dadurch einiges unter. Und das fällt beim Improtheater sofort auf. Peinlich! Aber wenn man sich wirklich einlässt, kann man echt viel über sich selbst erfahren und tatsächlich jede Menge dazulernen. Wie wirke ich auf andere? Wie wirken andere auf mich? Passt meine allgemeine Erscheinung zu meinem Auftreten? Stimme zu hoch? Oder zu leise wie eine graue Maus? Wie flexibel bin ich eigentlich? Wie gut kann ich Stille im Kontakt mit anderen aushalten?

Was gibt es noch zu sagen?
Ich muss meinen Ausspruch: „Aber Improvisationstheater machen, das kann ich bestimmt gut. Da muss man ja nur Alltagssituationen simulieren und nachstellen“, unbedingt zurücknehmen. Mittlerweile bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass dass Auswendiglernen von Texten und die anschließende Bühnendarstellung zwar nicht super easy sind, aber die Königsdisziplin ist für mich ganz klar das Improtheater. Denn da kann ich nicht mal eben irgendwas aus dem Ärmel schütteln, wie irrtümlich angenommen. Ich muss wirklich den Mut haben, mich auf alles einzulassen und mich trauen, mich mit meiner ganzen Persönlichkeit darzustellen. Ach ja, und bereit sein, alle meine Hemmungen und Blockierungen über Bord zu werfen. Also dann, Bühne frei...
 
Juli 2015